Autor: Urs Fitze
13. Oktober 2025

Warum dieses Buch?

Die grossen Schlagzeilen machen die Kriege dieser Welt. Kommt es zum Friedensschluss, erlahmt das Interesse. Dabei beginnt damit erst die Friedensarbeit. Wie kann es gelingen, Frieden, Versöhnung und Gerechtigkeit auf Dauer zu schaffen? Wir gehen dieser Frage an verschiedenen Schauplätzen ehemaliger Kriege nach: Bosnien-Herzegowina, Costa Rica, Deutschland und Frankreich, Palästina und Israel, Südafrika, Kolumbien, Uganda, Nordirland und die Schweiz. Wir sprechen mit Friedensforschern, Politikerinnen, Aktivisten und den vom Krieg unmittelbar Betroffenen. Unsere Vermutung: Nur wer Gerechtigkeit schafft, schafft den wahren Frieden.

Mit diesem Blog geben wir Einblick in unsere Arbeit und unsere Gedanken.

Das ist unser Buchkonzept

Arbeitstitel: Gerechtigkeit schaffen ohne Waffen
Möglicher Untertitel: Elf Reportagen aus einer Welt, die den dauerhaften Frieden sucht
In Kürze:

Wir sind ein zweiköpfiges Team freier Journalisten. Der von uns mitbegründete Verein für nachhaltigen Journalismus strebt in einer zunehmend ausgedünnten Medienlandschaft die Vertiefung wichtiger, aber vernachlässigter Themen an. Nach Büchern zu Kindern auf der Flucht und moderner Sklaverei beschäftigen wir uns nun mit der Frage, wie dauerhafter Frieden gelingen kann und welche Rolle Gerechtigkeit in diesem Prozess spielt. Geplant sind Recherchereisen u. a. nach Uganda, Südafrika, Bosnien-Herzegowina und Nordirland, mit einem Fokus auf konkreten Beispielen wie der Reintegration ehemaliger Kindersoldaten oder der Rückgabe von Land an vertriebene Minderheiten. Das Buch erscheint im Verlag NZZ Libro. Die Recherchen werden auf einem Blog und auf Social Media (Tik-Tok, Instagram) dokumentiert, um primär ein jugendliches Publikum zu erreichen. 

Einleitende Gedanken
Wie können Kriege beendet werden, wie kann es zu Verhandlungen kommen und Frieden geschlossen werden, wie kann dieser erhalten werden? Was ist ein gerechter Frieden? Und geht es zur Vermeidung von kriegerischen Konflikten nicht darum, Gerechtigkeit zu schaffen, in den Gesellschaften und zwischen Ländern und politischen Lagern? Ist Gerechtigkeit nicht die Voraussetzung für den Frieden? Diesen Fragen wollen wir in diesem Buch nachgehen.
Die Mehrheit der Konflikte endet ohne militärischen Sieg. Wer einem unterlegenen Gegner einen Diktatfrieden aufzwingt, schafft die Basis für Ungerechtigkeit. Das gilt etwa für die vielen Kolonialkriege in Afrika und Asien im 19. Jahrhundert oder den deutsch-französischen Krieg 1870/71. Kriege können mit permanent verlängerten Waffenstillständen enden oder in Konflikte mit niedriger Intensität überführt werden. Es gibt oft keinen klassischen Friedensvertrag, sondern Vereinbarungen, die dauernd gebrochen werden, wie etwa in Bosnien-Herzegowina mit dem Dayton-Abkommen. Es ist Frieden aus Erschöpfung, aber nicht aus Einsicht. Denn die wichtigste Basis für Frieden, die Gerechtigkeit, ist nicht hergestellt. Wirklicher Frieden wird eher durch ein zähes Ringen erreicht, in dem alles auf den Tisch kommen muss. Es geht um materielle und emotionale Gerechtigkeit, um das Anerkennen von Schuld. Wie es scheint, kann dieser Weg nicht abgekürzt werden. Und wie es scheint, muss auch um die Erhaltung von Frieden gerungen werden, indem immer wieder um Gerechtigkeit gerungen wird.
Der Versailler Vertrag ist der erste Vertag, der das frühere „Wohltätige Vergessen“, das nie funktionierte, ablöste und eine Form der Gerechtigkeitswiederherstellung verlangte, allerdings ganz im Sinne der Sieger, die unter dem Eindruck der enormen Schäden vor allem in Frankreich und den Benelux-Staaten gewaltige Reparationen verlangten und die Abrüstung einseitig nur von den Unterlegenen einforderten. Die deutsche Seite wiederum hatte, als es 1917 zu Friedensverhandlungen mit der damals neu gegründeten Sowjetunion gekommen war, einen «Siegfrieden» mit gewaltigen Gebietsabtretungen durchgesetzt: von Gerechtigkeit war in beiden Fällen keine Spur. Es war keine Konfliktlösung, sondern die Blaupause für dessen Fortsetzung im Zweiten Weltkrieg.
Grundlegende Voraussetzungen des menschlichen Zusammenlebens gelten auch für die Beziehung unter den Völkern und in Staaten, die von ungerechten System geprägt sind. Wie gelingt es, eigene Missetaten nicht zu verherrlichen, den eigenen Fanatismus zu dämpfen, seine eigene Radikalität zu stoppen, seine eigene Kompromisslosigkeit aufzuweichen, kurz: über den eigenen Schatten zu springen? Das gilt auch für die andere Seite, für das Verzeihen, Vergeben, für die Barmherzigkeit. Es gibt Rezepte, beispielsweise in Kolumbien, wo die Friedenverhandlungen mehr waren als ein Ausgleich zwischen bewaffneten Gruppen. Alle gesellschaftlichen Schichten wurden in den Verhandlungen beteiligt, alles kam auf den Tisch. Frauengruppen, Gewerkschaften, Bauern, Indigene und zivile Organisationen beteiligten sich. Es gab kein Tabu mehr. Das war vorbildlich, denn diese Verhandlungen gingen von einem positiven Menschenbild aus, das jedem Individuum Verantwortung gegenüber sich, der Gesellschaft und dem Staat zubilligt und ihr und ihm zutraut, zum Frieden beizutragen.
Die grundsätzlich wohlwollende Haltung gegenüber allen Beteiligten und der sehr stark ausgeweitete Verhandlungstisch bieten Raum, Gerechtigkeit und Frieden herzustellen. Eine Voraussetzung ist natürlich, Barmherzigkeit walten zu lassen. Dieses Vorgehen zeigt auch – wenn es langfristig Erfolg hat –, dass bei der Friedenssuche nach Konflikten oft zu kurz gedacht wird. Friede ist ein Zustand, der nur erreicht werden kann, wenn Gerechtigkeit hergestellt und bewahrt wird.
Wir stellen in diesem Buch die Fragen nach der Gerechtigkeit und dem gerechten Frieden in den Raum. Im Mittelpunkt stehen elf Reportagen aus Schauplätzen, wo, nach oft langjährigen Konflikten, Friedensverträge geschlossen wurden. Wir untersuchen dabei, inwieweit kleine und grosse Schritte dazu beitragen, eine Nachkriegswelt zu schaffen, in der eine Gerechtigkeit geschaffen wird, die einen dauerhaften Frieden gewährleisten kann. Gibt es vielleicht sogar ein Rezept dafür? Und welche Hindernisse stellen sich in den Weg? Die Fragen stellen sich, je nach dem Ort des Geschehens, mit etwas anderem Fokus, sodass ein Gesamtbild entstehen soll, dass es erlaubt, fundierte, nachvollziehbare und greifbare Antworten zu finden. Darauf gehen wir im Schlusskapitel ein, wo wir eine Synthese und eine Utopie wagen wollen, wie eine gerechte Welt geschaffen werden könnte.

Inhalt
Vorwort
Geplant ist ein Vorwort aus prominenter Feder, etwas UNO-Generalsekretär António Guterres oder Dan Smith, Direktor des Friedensforschungs-Instituts SIPRI in Stockholm. Die Abklärungen sind noch im Gang.
Einleitung
Was ist Frieden? Was ist Gerechtigkeit? Wir möchten diese Begriffe genauer fassen, mit Bezug auf Denkerinnen und Denker von der Antike bis in die Gegenwart, und wir gehen der Frage nach, ob es in der Geschichte je gelungen ist, einen gerechten Frieden zu schliessen. Dazu kommt eine Analyse der derzeitigen Herausforderungen für den Weltfrieden im Angesicht der sich abzeichnenden neuen Teilung der Welt.
Uganda: Reintegration von Kindersoldaten
66’000 Kinder sind in den Jahren 1986 bis 2006 im ugandischen Bürgerkrieg entführt worden, um als Kindersoldaten in den Krieg geschickt zu werden. Das Erlebte, all die traumatischen Erfahrungen, bleibt tabu, die in den Kriegsjahren zwangsweise erlernten Muster, Gehorsam, Duldsamkeit und Schweigen, werden zur Überlebensstrategie. Das führt viele in die Isolation, manche in den Selbstmord. Das japanische Hilfswerk Terra Renaissance unterstützt ehemalige Kindersoldaten mit Bildungsprogrammen und Berufsausbildung ihrem Weg in ein selbständiges Leben. Teil dieser Recherche sind auch die Erfahrungen mit dem traditionellen Gerichtsverfahren «Mato Oput» (wörtlich das Trinken einer bitter schmeckenden Flüssigkeit), das eine «wahre Heilung» durch Versöhnung ermöglichen soll. Die Recherche basiert auf dem Kapitel zu Kindersoldaten im Buch «Moderne Sklaverei».
Mostar, Bosnien-Herzegowina: Der unvollendete Friede.
In Mostar findet sich, umgeben von Ruinen aus der Zeit des Bürgerkrieges 1992 – 1995, in einem mit EU-Geldern wieder aufgebauten Gymnasium aus der Zeit der österreichisch-ungarischen Herrschaft die einzige Mittelschule des Landes, an der alle Ethnien unterrichtet werden, allerdings getrennt. Das soll die kroatischen und bosnischen Jugendlichen in einer weitgehend geteilten Stadt, in der es noch nicht einmal eine gemeinsame Feuerwehr gibt, einander näher bringen, für eine gemeinsamere Zukunft.


Südafrika: Friede braucht Gerechtigkeit
In einer grünen Oase im wohlhabenden, weitgehend von Weissen besiedelten Kapstadter Stadtteil Bishopscort sind die Bagger aufgefahren. Der bei Joggern und Spaziergängerinnen beliebte Park wird weitgehend abgeholzt, um einer Siedlung Platz zu machen. Es ist ein Akt der Gerechtigkeit. Mit dem «Group Areas Act» von 1950 hatte das rassistische Apartheid-Regime die Rassentrennung auch geographisch durchgesetzt. 3,5 Millionen Menschen wurden umgesiedelt.
Mit der «Land Restitution Policy» gehen Landreformen und das Recht, in die ehemaligen Siedlungen zurückzukehren, einher. Ein langwieriger Prozess: In Bishopscourt dauerten die Rechtssteitigkeiten 20 Jahre. Nun entsteht in einem von Villen und Einfamilienhäusern dominierten Stadtteil eine Siedlung, in der farbige Familien der unteren Schichten einziehen werden. Das birgt einigen sozialen Sprengstoff, ist aber auch eine grosse Chance. Südafrika ist eines der ungleichsten Länder der Welt. Es ist dem African National Congress nicht gelungen, die von Nelson Mandela eingeleitete Versöhnung auch politisch umzusetzen. Mit der ersten Regierung seit dem Ende der Apartheid, die auch weisse und farbige Politikerinnen und Politiker einbindet, werden die Weichen neu gestellt. Im Vordergrund steht die Frage, wie eine gerechte Gesellschaft unter Gleichen geschaffen werden kann.


Nordirland: Gewaltfreie Konfliktlösung
Das Karfreitagsabkommen von 1998 hat nach Jahrzehnten des Bürgerkrieges Frieden geschaffen und eine politische Struktur der geordneten Machtteilung zwischen katholischen Nationalisten und protestantischen Unionisten geschaffen. Damit wurde sogar die enorme Herausforderung des Brexit friedlich gemeistert. Politisch bleiben die Fronten verhärtet. Dennoch scheint die Gewalt gebannt. Die Kraft des Friedens ist stark. Es gibt viele Organisationen, die sich dafür engagieren.

Israel/Palästina: Neve Shalom, die Friedensinsel im Meer des Krieges
Jüdische und palästinensische Familien wollten zusammenleben und gründeten auf Initiative des Dominikanermönchs Bruno Hussar aus Jerusalem das Dorf „Neve Shalom“/“Wahat al-Salam“, die Oase oder Quelle des Friedens, wie der hebräisch/arabische Doppelname zu deutsch heisst. Das war in den 1970er Jahren. Bis 2012 ist das Dorf auf über 60 Familien angewachsen, mit gleicher Anzahl von Juden und Arabern. Geplant ist eine Einwohnerzahl von 140 Familien. Im Jahr 2018 hatte das Dorf 295 Einwohner. Neve Shalom hat bis heute viele Auszeichnungen erhalten. Trotz der immer schwieriger werdenden Situation in der Umgebung hält die Gemeinschaft. Wie schafft sie das?

Deutschland / Frankreich: Wie lebt die Jugend der beiden Nationen den Frieden zweier einstiger Todfeinde?
Rund 200’000 Jugendliche aus Deutschland und Frankreich beteiligen sich jährlich an den seit 1963 bestehenden Austauschprogrammen, mit steigender Tendenz. Anderseits nimmt das gegenseitige Interesse an der anderen Sprache ab. So hat Deutschland sechs der 11 Goethe-Institute in Frankreich geschlossen. Wir möchten unter Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Austauschprogrammen in Berlin und Paris herausfinden, wie die heutige Jugend den Frieden zwischen zwei einstigen Todfeinden lebt.

Kolumbien: Reintegration der FARC-Rebellen: Können aus Dschungel-Kämpfern Kaffeebauern werden?
Ein starkes Hoffnungssignal sendet Kolumbien aus. Das Land erlebte mit 52 Jahren den längsten Krieg der modernen Zeit. Es war ein Bürgerkrieg, der unversöhnliche Familien hinterliess. Bei den Friedensverhandlungen ging es nicht nur darum, dass Waffen niedergelegt wurden, sondern auch daran, dass für die ganze Gesellschaft Perspektiven entwickelt wurden. So gilt die einstige Drogenhochburg Medellin heute weltweit als Vorzeigestadt, was die gesellschaftliche Entwicklung, die Anpassung an den Klimawandel und die Partizipation der Bevölkerung an der infrastrukturellen Entwicklung betrifft. Am Friedensprozess in Kolumbien war die Schweizer Diplomatie aktiv beteiligt. Der Prozess ging ab 2012 über den Friedenvertrag 2016 hinaus, der Präsident Dos Santos den Friedensnobelpreis eintrug. Er hat vielerorts das Bewusstsein geändert, wie Konflikte zu lösen sind. Seit 2022 gibt es das „Gesetz des totalen Friedens“.

Costa Rica: Ein Land ohne Armee
Nur 22 Länder auf der Erde haben keine Armee. Das wohl Bekannteste darunter ist Costa Rica. Frühere Kasernen sind heute Museen.
Die Armee wurde bereits 1949 abgeschafft. Der Entscheid ging ausgerechnet von einem Militär aus. General Don José Figueres Ferrer gewann 1948 den letzten Bürgerkrieg. Es gibt immer wieder Versuche, diese Entmilitarisierung des mittelamerikanischen Landes zu diskreditieren, etwa mit der teilweise wahren Behauptung, die Polizei sei umso stärker aufgerüstet. Fakt ist aber auch: Das entmilitarisierte Land wirkt glaubwürdig. Der ehemalige Präsident Oscar Arias erhielt 1987 für sein Engagement in Mittelamerika gar den Friedens-Nobelpreis. Auffallend: Die Menschen in Costa Rica sind glücklicher, wohlhabender und die Kriminalität ist weitaus geringer als in sämtlichen Ländern der näheren und mittleren Entfernung. Das heisst, Costa Rica hat relativ gesehen eine gerechtere Gesellschaft, weil die Reichsten nicht einfach eine Armee als Leibgarde missbrauchen können.
Schweiz: Das friedlichste Land der Welt. Taugt das Vorbild?
In der Schweiz herrscht seit 1848, abgesehen von Militäreinsätzen gegen Demonstrierende, Frieden, in den grossen Kriegen bewahrte das Land seine Neutralität. Das über Jahrzehnte entwickelte direkt-demokratische Modell mit einem Zweikammersystem sorgt in einem Land mit vier Sprachen und recht unterschiedlichen Lebensweisen für politische Stabilität. Dieses System zeigt in Zeiten steigender Polarisierung mehr und mehr Risse, und es scheint, dass das einigende Band der gegenseitigen Kompromissbereitschaft unter dem Alles oder Nichts populistischer Kräfte zunehmend rissig wird. Wie meistert das friedlichste Land der Welt diese Herausforderung? Interessant in diesem Fall wäre der Versuch, sich dem Thema des inneren Friedens kombiniert mit der Gerechtigkeitsfrage zu widmen.

Wissenschaft für den Frieden.
Am 1964 von der schwedischen Regierung gegründeten Friedensforschungsinstitut SIPRI in Stockholm beschäftigen sich rund hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Frieden und Abrüstung. Man könnte ihr Wirken, gemessen an den ernüchternden Ergebnissen der jüngeren Vergangenheit, als Sysyphusarbeit beschreiben. Wie sieht die Forschung Gerechtigkeit und Frieden?

Die sich für den Frieden engagieren
Es gibt viele gute Gründe, sich für den Frieden engagieren. In diesem Kapitel möchten wir Menschen und Organisationen beschreiben, deren Engagement für den Frieden sie auszeichnet. Dabei gehen wird auch der Frage nach, was sie damit bewirkt haben bzw. bewirken. Wir unterscheiden sie in Friedensstifter und Praktiker.
Die Friedens- und Gerechtigkeitsstifter
• Politiker wie Mahatma Gandhi, Nelson Mandela und Martin Luther King
• die von einem ehemaligen Bürgermeister der Stadt Hiroshima gegründete Vereinigung Bürgermeister für den Frieden, der in der Schweiz Städte wie Basel, Bern, Genf, Luzern oder Zürich angehören. Der Grund für die Initiative ist ein Stück weit Barmherzigkeit
• Friedensaktivisten wie Rodolfo Olgiati, der sein ganzes Leben der Arbeit für den Frieden widmete
Die Praktiker
• religiöse Gruppierungen wie die Quäker, die sich von der Abschaffung der Sklaverei bis zu aktuellem Engagement konsequent der Friedensarbeit verschreiben
• Pazifistinnen und Pazifisten, die sich dem Militärdienst verweigern oder, etwa bei den Peace Brigaden und dem zivilen Friedensdienst, in Konflikten durch ihre Präsenz eine Eskalation verhindern
• das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, das oft unter schwierigsten Bedingungen Konfliktparteien an die Gebote des Völkerrechts erinnert
• Marcel Junod, der Zeuge des Schreckens des Krieges an verschiedenen Schauplätzen, vom spanischen Bürgerkrieg über die Konzentrationslager bis Hiroshima wurde und, schon völlig ausgebrannt, den Satz schrieb: Die da um Hilfe rufen, sind derer viele. Sie warten auf Euch.

Schlusskapitel: Gerechtigkeit schafft Frieden
Nur in einer gerechten Welt ist ein dauerhafter Frieden möglich. Wir möchten in diesem Schlusskapitel, basierend auf den Antworten aus den elf Reportagen, eigenen Überlegungen und Gesprächen mit Denkerinnen, Politikern, Aktivisten und vom Krieg betroffenen Menschen eine Art Blaupause (oder Utopie) für eine gerechte Gesellschaft, für eine gerechte Welt schaffen. Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin… Wie könnten wir soweit kommen? In diesem Schlusskapitel wollen wir aber das Thema auch wieder auf die persönliche Ebene brechen. Frieden beginnt mit einem Lächeln, Frieden beginnt bei mir, Frieden beginnt, wenn Erwartungen enden etc. sind mehr als nur Kalendersprüche. Denn wenn jeder Mensch sehr stark und sehr gefestigt in der Persönlichkeit ist, wird es für Manipulatoren sehr schwierig, Krieg vom Zaun zu reissen.

 

12. Oktober 2025

Gymnasium Mostar: Schule der Hoffnung

Das Alte Gymnasium in Mostar, im Volksmund gerne als "Alte Dame" bezeichnet

Nein, Nein und nochmals Nein: Die Direktorin des altehrwürdigen Gymnasiums in Mostar verweigerte jedes Gespräch und auch einen Schulbesuch. Befehl von ganz oben. Und schon ist man mittendrin in den ungelösten Konflikten eines Landes, das seit drei Jahrzehnten den Frieden auf Basis eines faulen Kompromisses übt. Am Gymnasium wird dennoch die Zukunft erprobt. Nicht von oben, sondern von unten. Ein Recherchebericht. 

Kantone gibt es nicht nur In der Schweiz. Auch Bosnien-Herzegowina kennt sie. Internationale Friedensvermittler hatten während des Bürgerkrieges in den Jahren 1992 – 1994 den Plan  entwickelt, das tief zerrissene Land in Kantone aufzuteilen, die jeweils mit grosser Autonomie sich selbst regieren sollten. Niemand hatte eine bessere Idee. Und so kam es auf Druck der Amerikaner zum Dayton-Abkommen mit einer wohl klingenden, von den Kriegsparteien und Vertretern internationaler Organisationen unterzeichneten  Verfassung. Dabei ist es bis heute geblieben. Ein besonderes heikles Thema war die Bildung gewesen. Man überliess sie den Kantonen, wo kaum jemand bereit war, seine Kinder die Schulbänke mit Kindern einer verfeindeten Ethnie zu teilen. Der Begriff „Ethnie“ war damals aufgekommen, um in einem weitgehend säkularisierten Land Menschen voneinander zu trennen, die bis auf Kleinigkeiten sich in der gleichen Sprache unterhielten, aber einer anderen Religion angehörten. In Städten wie Mostar waren es Nachbarn, die aufeinander schossen. So kam es zu getrennten Lehrplänen und getrennten Schulhäusern. Im Kanton Herzegowina-Neretva mit der Hauptstadt Mostar wagte man einige Jahre nach Kriegsende ein Experiment: Zwei Schulen unter einem Dach, mit einer gemeinsamen Verwaltung, aber nach Sprachen getrennten Klassen, gedacht als erster Schritt zu einer Wiedervereinigung der Schulen. Denn inzwischen war die „Muttersprache“ als Unterscheidungsmerkmal festgelegt worden. Dabei sind die Unterschiede zwischen bosnisch, kroatisch oder serbisch marginal. Das altehrwürdige, von den österreichisch-ungarischen Besatzern 1897 erbaute und nach dem Bürgerkrieg mit internationalem Geld wieder aufgebaute Gymnasium wurde zum Symbol dieses Willens, den Neuanfang zu wagen. Das war ein grosser Schritt in einer euphorischen Zeit. Dieser Prozess ist ins Stocken geraten. Auf den politischen Bühnen wird nur noch der Stillstand verwaltet. 
 
Das muss man wissen, um die harsche Reaktion der Schuldirektorin zu verstehen, als ich ihr gegenüber sass. Wochenlang waren meine Anfragen unbeantwortet geblieben. Sie hatte eine Übersetzerin organisiert, um mir unmissverständlich mitzuteilen, dass sie mir nicht erlauben werde, mit ihr oder mit Lehrern und Jugendlichen zu sprechen. Sie sprach von Schutz und einer ministeriellen Anordnung, die nach einem Vorfall erlassen wurde, bei dem ein kroatischer Jugendlicher mit rassistischen Ausfällen in einem Radiobeitrag einen Skandal ausgelöst hatte. Er sei am Gymnasium unterrichtet worden. Eine Recherche zeigte danach, dass dieser Jugendliche 2015 im Rahmen einer Serie von Radio Free Europe, einem von den Amerikanern finanzierten Sender, zur Stimmung in der bosnischen-herzegowinischen Jugend zitiert worden war. Allerdings war er an einem anderen Gymnasium. An den Pranger gestellt wurde der Sender, während niemand in der Stadt sich ans eigentliche Thema, den nach wie tobenden Krieg in den Köpfen, wagen wollte. Da war der Entscheid, gleich keine Journalisten mehr zuzulassen, nur konsequent: Auseinandersetzung sollte es, wenn überhaupt, nur hinter den Kulissen geben. Doch nicht alle sehen das am Gymnasium so. 
 
Die Direktorin verabschiedet sich mit einem Seufzer. Sie sei froh, bald in Pension zu gehen. Die so streng wirkende Frau wird von ihrer Kollegin Leila Juklo als sehr herzlicher Mensch beschrieben. Die Zusammenarbeit sei problemlos. Das ist kein Widerspruch. Die kroatische Direktorin folgt nur peinlich genau der Linie der von der kroatischen Partei HDZ vorgegebenen Schulpolitik. Die HDZ besetzt die wichtigen Posten im Bildungs-Ministerium, während die muslimische SDA die Oppositionsbank drückt. Und diese Politik sieht keinen Millimeter Spielraum vor, nicht nur, wenn es um Journalisten geht, die kritisch berichten könnten, sondern auch im Schulalltag.

Zwei Schulen unter einem Dach. Mehr auf keinen Fall. Der 21-jährige Dzan Dilberovic kann ein Lied davon singen. Er war von 2018 bis 2020 am Gymnasium. Mit Freunden hätte er gerne im Musikraum geprobt. Der kroatische Musiklehrer verweigerte den Schlüssel. Dilberovic ist Muslim. Und die strikte Trennung der Ethnien gilt sogar für den Musikunterricht. Der Fall ging in die Presse. Erst dann hatte er ein Einsehen. 
 
Lejla Juklo ist die stellvertretende Direktorin. Den Posten hat sie nur erhalten, weil sie Muslima ist. So will es die Regel. Das Gymnasium bevölkern zwei Schulen unter einem Dach. Es wird aber gemeinsam verwaltet. Und dazu gehört, dass die administrativen Führungspositionen abwechselnd von der jeweils anderen Ethnie besetzt werden. Juklo mag es gar nicht, auf ihren Glauben reduziert zu werden. Sie sei bosnische Staatsbürgerin. Dennoch wäre sie die designierte Nachfolgerin der bald pensionierten Direktorin. Sie zögert. Ihr fehle der Kontakt zu den Jugendlichen. Noch unterrichtet die Lehrerin der bosnischen Sprache ein paar Lektionen. Als Direktorin wäre es damit vorbei. Sie macht kein Hehl daraus, für wie absurd sie die Trennung der Klassen hält. Sicher, die Verfassung sehe es vor, dass jedes Kind in seiner Muttersprache unterrichtet werden. Daran wolle sie auch gar nicht rütteln. Auch bosnische Intellektuelle hatten in den 1990er-Jahren die Wiedereinführung der bosnischen Sprache verlangt, die einst als Vorlage für das Serbokroatische gedient hatte: die Nationalsprache des ehemaligen Jugoslawien. Doch im Schulalltag brauche es einfach mehr Toleranz. Ihr Zögern ist auch dem ständigen Aushandeln von Kompromissen mit der kroatischen Seite geschuldet,. Das kann mitunter bedeute, das man gemeinsam während der Projektwoche nach Kroatien reist, nur um dann getrennter Wege zu gehen. Jeder macht sein Ding. Manchmal fühle sie sich wie Don Quijote in seinem Kampf gegen Windmühlen. 
 
Mir kommt meine eigene Primarschulzeit in der st. gallischen Gemeinde Gossau in den frühen 1970er-Jahren Sinn. Es gab zwei Primarschulen, eine katholische und eine reformierte, und es gab die praktisch allein herrschende Christlich-Demokratische Volkspartei. Sie besetzte acht von neun Sitzen im Gemeinderat. Die Zeiten des Kulturkampfes, der vor allem im ausgehenden 19. Jahrhundert zwischen Liberalen und Konservativen getobt hatte und schliesslich in eine Machtteilung, die sogenannte Konkordanz mündete, waren eigentlich vorbei. Doch in Gossau war das anders. Die Primarschulen blieben bis 1977getrennt. Es gab nur die derben Fäkalwitze über die andere Konfession, die von Generation zu Generation weiterverbreitet worden waren. Und tatsächlich kann ich mich nicht erinnern, ausserhalb der Schule je einem katholischen Kind begegnet zu sein – mit Ausnahme des grossen Spielplatzes in der Siedlung, in der ich aufgewachsen bin. Die migrantischen Kinder aus Italien und Spanien in der Nachbarschaft waren sicherlich Katholiken. Doch das spielte überhaupt keine Rolle. Es wäre keinem eingefallen, den anderen zu fragen, welche Konfession er hat. Die Religion war Privatsache. Hundert Jahre oder vier Menschengeneration mussten verstreichen, bis in Gossau auch die letzten Kulturkämpfer ein Einsehen hatten und eine gemeinsame Primarschulgemeinde gründeten. 
 
Aus Kinderperspektive ist es in Bosnien-Herzegowina schon die vierte Generation, die sich in einer zementierten Welt zurechtfinden muss. Aus dieser Perspektive ist das Gymnasium Mostar ein Ort der Hoffnung, nicht nur, weil es gemeinsame Lektionen im Informatik-Unterricht gibt. Die Japaner, die den Computerraum finanziert hatten, bestanden darauf. Der Lehrer ist ein Serbe. Es sind die Schülerinnen und Schüler selbst, die, wie wir damals auf dem Spielplatz, die Regeln der Alten ignorieren. Der Kroate Armin und der Bosniake Luca spielen begeistert in einer Band an der Rockmusikschule in Mostar. Dort fragt niemand nach ihrer Ethnie oder ihrem Glauben. So wollten sie auch am Gymnasium eine Band gründen. Sie blitzten ab. So gibt es am Gymnasiums zwei Bands, die gelegentlich bei Schulanlässen gemeinsam auftreten, wohl auch, um den Schein zu wahren. Doch in Mostar gibt es auch mehrere Dutzend multiethnische Vereine und Organisationen. Sie sind der Tropfen, der den Stein höhlt.

Sajra, die 15-jährige Tochter von Lejla Jukic, ist nach den Sommerferien im Gymnasium eingetreten. Zuvor hat sie die Schulzeit, wie einst ich selbst bis zur 6. Klasse, ausschliesslich mit muslimischen Kindern verbracht. Im Sommer traf sie in einem Ferienprogramm für Jugendlich erstmals auf Kroaten, und ihr sei von Anfang klar gewesen: „Wir sind alle gleich.“ So hält sie es auch am Gymnasium. Ihr Freundeskreis hat sich erweitert. Ihr Vater kämpfte als 16-jährige im Krieg. Einmal verfehlte ihn die Kugel eines Scharfschützen um Haaresbreite. Natürlich könnte der Schütze der Vater eines Jugendlichen sein, dem sie an der Schule begegne. „Aber wir sind doch eine neue Generation, und wir alle haben eine zweite Chance verdient. Für uns geht es nicht mehr um Vergebung und Versöhnung. Denn wir tragen ja alle keine Schuld.“ Das mag angesichts der politischen Realität naiv anmuten. Dabei steckt eine grosse Weisheit darin: Es geht darum, die Zyklen der Gewalt, die die Menschen über Generationen gepeinigt haben, endlich zu durchbrechen. Ihre Mutter, die sich gerade mit den zwei Geographie-Lehrern darauf verständigt hat, gemeinsam Bäume zu pflanzen, meint nur, sie müsse in kleinen Schritten denken. „Aber ich bin sehr stolz, dass sich die Jugendlichen hier an der Schule begegnen und ihre Meinung ändern können.“ 
 
Ich erzähle Jasminka Bratic von Sajra. „Wenn das naiv ist, dann bin ich es auch.“ Die Anwältin engagiert sich seit bald drei Jahrzehnten für gemeinsame Schulen – bisher vergeblich. Manchmal komme ihr das alles vergeblich vor. Doch sie werde nicht aufgeben. „Ich bin und bleibe Idealistin.“ Und vielleicht ist es ja, wie im st. gallischen Kulturkampf, eine Jahrhundertaufgabe.  

Kein frommer Wunsch: Ein dauerhafter Frieden ist in Bosnien-Herzegowina eine Generationenaufgabe. Es geht dabei vor allem um Perspektiven für die Jugend, sowohl in gemeinsamen Aktivitäten über die ethnischen Grenzen hinweg als auch beruflichen Aussichten im Land. Dieser Friede beginnt in den Köpfen.
Fast alle Schulhäuser Bosnien-Herzegowinas sind auch 30 Jahre nach Ende des Bürgerkrieges streng nach Ethnien getrennt. Am Gymnasium Mostar werden kroatische und bosnische Jugendliche nach Klassen getrennt, aber unter einem Dach unterrichtet.
Das 1897 im "maurischen Stil" erbaute alte Gymnasium lag im Bürgerkrieg der Jahre 1992 - 1994 an der Frontlinie und wurde schwer beschädigt, danach mit internationaler Unterstützung wieder aufgebaut. Gleich nebenan finden sich noch immer Ruinen zerstörter Gebäude.
Stari Most, die Alte Brücke", wölbt sich 30 Meter über der Neretva: i im Bürgerkrieg zerstört, mit EU-Geldern wieder aufgebaut und heute ein beliebtes Fotosujet
Leila Juklo ist seit 2021 die stellvertretende Schuldirektorin am Gymnasium Mostar. Sie engagiert sich seit Jahren für ethnisch gemischte Klassen. Manchmal, sagt sie, komme sie sich vor wie Don Quijote, der es mit den Windmühlen aufgenommen hatte. Ihr fehlt in ihrem administrativen Amt die Nähe zu den Jugendlichen.
An der Hauptverkehrsachse, der Marschall Tito - Alle, wird im Bürgerkrieg 1993 und 1994 am heftigsten gekämpft. „Sniper Alley“ wurde sie wegen der vielen Scharfschützen genannt. Die Ruinen erinnern bis heute daran. Die schaukelnde Pappfigur, eine der vielen „Street Art“- Installationen in der Stadt, setzt auf glücklichere Zeiten.
Die Karadozbeg Moschee aus dem Jahr 1557 wurde im Krieg schwer beschädigt und wieder aufgebaut. Das Minarett ist mit 37 Metern Höhe das grösste in der Stadt.
107 Meter hoch ragt der an statischen Problemen leidende Turm der katholischen Peter und Paul - Kirche. Er ist damit mehr als dreimal so hoch wie das Minarett der Karadeozbeg - Moschee. Vor der Zerstörung der Kirche im Bürgerkrieg mass er 30 Meter.
Der Wiederaufbau Mostars ist noch immer im Gang. Zwischen Ruinen ist der Alltag eingekehrt.

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